Am Freitag hatte ich Termine über Termine – den ganzen Tag lang. Am späten Nachmittag musste ich noch einmal ins Büro, um ein paar Notizen durchzugehen. Ich kam erst um acht aus dem Bürogebäude. Die Luft war beißend kalt, Menschen schoben kleine bleiche Wolken ihres gefrorenen Atems vor sich hin.
Ich war zu müde um nach Hause zu gehen. An solchen Tagen darf man sich keine Verschnaufpause gönnen. Also stieg ich ins Auto, auf dem Rücksitz lag das Säckchen mit den "einfach für den Fall" Tanzschuhen. Ich beschloss zu einer Milonga in der Nachbarstadt zu fahren. Dort wird kein Essen serviert, der Kaffe ist aber hervorragend und die Atmosphäre leicht und warm wie eine Daunendecke.
Zum Protokoll: An dem Tag hatte ich einen braunen Faltenrock, eine hochgeschlossene beige Bluse und kurze taillierte Jacke an. Ach ja, und eine Brille.
Obwohl überzeugte Kontaktlinsenträgerin, trage ich zu manchen Geschäftsverabredungen eine Brille. Die verleiht mir Glaubwürdigkeit, was nicht unnütz ist, wenn man betteln geht (aka „mit Sponsoren reden“). Sonst sehe ich zu jung aus: man beäugt mich etwas misstrauisch oder mit der freundlichen Herablassung, die sonst für fremde Kinder und kleine Tiere reserviert bleibt.
Ich ging rein, begrüßte den DJ und habe mich an die Theke gestellt, während ich auf meinen Kaffee wartete. Es war noch nicht besonders voll, wir plauderten ein wenig. Ich ließ meine Augen wandern, erblickte einige bekannte Gesichter und hob die Hand, um den Menschen zuzuwinken. Manche winkten unentschieden zurück, wandten sich aber sofort ab.
Ein Bekannter lief an mir vorbei. Ich machte den Mund auf, um ihn zu begrüßen. Er ignorierte mich. Immer noch mit geöffnetem Mund drehe ich mich den DJ zu.
Er grinste mich an.
- Was? - ich verschluckte mich wütend an meinem Kaffee.
- Ach, gar nichts, Fräulein Bibliothekarin.
- Oh komm, lass den Quatsch.
- Oh doch, meine Süße. Aber keine Sorge, wenn alle Stricke reißen, tanz' ich mit dir.
Ich blickte ihn voller Entsetzten an und dann in den staubbekleideten matten Spiegel, der die Wand hinter seinen Rücken zierte. Ich sah mich mit seinen Augen an: er hatte Recht! So konnte man mich unmöglich erkennen.
Ich selbst erkannte mich nicht, zumindest nicht in dieser Umgebung.
Nicht mal der Spiegel konnte mich erkennen, und Gott weiß, der gab sich alle Mühe.
Wenn ich zum Tanzen gehe, muss ich mir selten überlegen, was ich anziehe. Mein Schrank ist voll bepackt mit knielangen Kleidern, bunten Röcken aus Rohseide, Vintageteilen, die ich in allerlei Sekondhandläden oder in irgendeinem kleinen Geschäft in SoHo gefunden habe. Und auch wenn ich mein Haar zu einem Nackenknoten fest zusammenbinde, so kann ich immer davon ausgehen, dass es am Ende des Abends lose und gelockt um mein Gesicht hängt.
Ich habe sogar zwei separate Schmuckkästchen: das eine sieht überaus nüchtern aus und hütet schmale, zurückhaltende Armbände und Ohrringe, die sich diskret an meine Ohrläppchen schmiegen.
Das andere ist blassblau und bäuchig. Es steht auf krummen Füßchen und birst mit leichtsinnig aussehenden, fragilen Schmuckstücken, die - wenn überstreift, baumeln und funkeln, was das Zeug hält.
Es kommt mir so vor, als würde mein Aussehen ein ausgereiftes Doppelleben führen.
Gott, ich wäre doch so gerne Dita von Teese. Die Frau hat es einfach drauf und sie hat es drauf.
Ich meine, hier oben ist sie beim Einchecken in LAX abgebildet. Beim Einchecken. Am Flughafen. Vor einem zwölfstündigen Flug.
Na ja, man tut was man kann.
Also ging ich in den Waschraum. Dort bürstete ich mein Haar frei, knöpfte die Bluse ein wenig auf und packte die Brille ein. Die Welt sah auf einmal verschwommen, aber viel besser aus. Als ich raus kam, lief mir eine Freundin entgegen: „Dich habe ich gesucht! Wow, Du siehst heute aber anders aus. Aber Du, nicht schlecht. Komm, lass mich Dich mal führen.“
Dieser Freitagabend ist doch noch sehr schön geworden.
Aber darüber ein anderes Mal, jetzt muss ich mich nämlich umziehen.
Sunday, February 17, 2008
Kleider machen Leute
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