Monday, February 18, 2008

Sex, Tango und andere Grausamkeiten

-Ufff, stell Dir mal vor, ich habe heute zwei Stunden meditiert. Jetzt fühl' ich mich so richtig entspannt.

Die Frau hat schöne, unruhige Augen und erschöpft aussehende Haut: sie setzt sich zu mir, lehnt sich zurück, zündet sich eine Zigarette an und betrachtet die Tanzfläche. „Nicht viel los heute, eh?“
Sie ist Ende dreißig und frisch geschieden. Ihr Gesicht ist voller feiner Linien und ständig in Bewegung: mal hebt sie die Augenbraue hoch, mal rutscht ihr Mundwinkel tief nach unten, mal kneift sie die Augen zusammen und pustet sich gleichzeitig den glatten fransigen Pony aus der Stirn.
Sie tanzt seit langem, aber nicht besonders gut, trotz aller Privatstunden bei jedem berühmten Lehrer, den’s schon mal hierher verschlagen hat. Nach wie vor läuft sie etwas breitbeinig und streckt dabei ihren Hintern aus. Dafür streut sie bekannte Namen in das Gespräch ein wie die anderen Pinienkerne über den Salat streuen. „Ach, der soundso ist ein total komischer Vogel, wir haben uns über ihn kaputt gelacht.“ Oder: „Die Geraldine hat aber stark nachgelassen, seit sie sich mit Ezequiel zusammengetan hat. Aber was willste tun? Ist ja wohl die Liiiiiiiiiiiebe“ sagt sie, ihr Mund streckt sich dabei zu einer schmalen, langen Linie.
Wenn sie zum Tresen oder auf die Toilette muss, rennt sie quer über die Tanzfläche und weicht den tanzenden Paaren mit kleinen, spitzen Schreien aus.
Als wir uns kennenlernten, fragte sie mich nach meinem Sternzeichen. Als ich’s ihr sagte, schlug sie die Augen weit auf: “Ach toll, wir passen doch super zueinander, zeichenmäßig, ich mein’. Wir werden viel zu bequatschen haben. Gib mir doch deine Telefonnummer“
Sie rief mich nicht an. Zwei Wochen später trafen wir uns wieder. Sie fragte –„Sag mal, was für ein Sternzeichen bist du denn?.. Ach, nee, echt? Weiß Du, dass wir super viel gemeinsam haben?“

Manchmal streckt sie ihre Hand mit der Schnelligkeit der Chamäleonzunge aus, um einen unsichtbaren Mascara-Fleck oder eine Wimper aus meinem Gesicht wegzuzupfen.
Ihr Ex-Mann ist sehr groß, hat ein fleischiges Gesicht mit etwas unentschlossenen Zügen und trägt immer eine Weste. Sie haben sich vor zwei Jahren getrennt, jetzt wird er stets von immer jüngeren Frauen begleitet, der Verschleiß ist bemerkenswert groß.
Ich habe einmal mit ihm getanzt, da war ich noch ganz grün hinter den Ohren. Er machte Siebenmeilenschritte, ich stolperte unentwegt, er flüsterte mir feucht ins Ohr: „Entspann Dich...Vertraue mir. Oh ja, jaaaaaaaaaaaaaaaa“. Dann trat er mir auf den Fuß, ich spürte, wie meine Knochen sich vor Schreck zusammenzogen. Nach dem zweiten Tanz humpelte ich zu meinem Platz. Er rief mir mitleidsvoll hinterher: „Keine Sorge, wirst es noch lernen“.
Jetzt tanzt er an uns vorbei. „Rrrrrrr“… Sie scheint vergessen zu haben, wie sie sich früher genau auf diesem Tanzboden gestritten haben „Der Mann hat echt Stil. Lässt jede Frau echt gut aussehen. Sie dreht sich zu mir:„ Naja, Du kennst ihn, nicht? hast schon mal mit ihm getanzt.“
Das Gespräch will nicht so richtig aufkommen, ich sehne irgendjemanden herbei.
Unvermittelt sagt sie „ Ho, hier läuft mein One-Night-Stand“. Ich blicke überrascht auf: ein hagerer, fast kastanienfarben gebräunter Mann rauscht an unseren Tisch vorbei, seine Partnerin krampft ihm hinterher.
Er hält sich wie ein typischer Standardtänzer. Sein Rücken ist sehr gerade, die Schultern starr nach hinten geworfen.
Sie winkt ihm zu, er sieht an uns vorbei auf die Wand mit dem hohen verschwitzten Fenster.
„Hat er mich gesehen?“ - fragt sie aufgeregt.
„Keine Ahnung“. Was soll ich auch sagen?
„Ach, ich weiß nicht. Er hat mich bestimmt nicht gesehen.“ Sie lehnt sich nach vorne, der massive silberne Anhänger rutscht aus ihrem Ausschnitt und knallt auf den Tisch. „Ist er nicht so richtig zum Anbeißen?“
Ich räuspere mich, um nicht antworten zu müssen.„Kanntet ihr euch denn vorher?“
„Nö, nicht wirklich“. Sie fährt mit dem Finger die Tischkante entlang. „Ich meine, jetzt schon. Und ich hab’ seine Karte.“
„Und wie kam’s dazu überhaupt?“ Jetzt bin ich neugierig.
Sie seufzt leise und pustet sich ein Paar Strähnen aus den Augen. „Wir haben so schön getanzt. Es war so siiinnlich. So richtig tango. Ich meine, darum geht es letztendlich, oder?“
Ich sehe dem Kerl noch einmal zweifelnd hinterher: er hält seinen rechten Arm zu hoch, das arme Mädchen sieht wie eine zwischen zwei Häusern gespannte Wäscheleine aus.
„Und wo habt ihr...?
„In seinem Auto.“ Ich verstumme. Allein die Vorstellung, wie sie ihre Beine auf dem Rücksitz unterbringt, füllt mich mit Unbehagen. Dann fällt mir was ein und bevor ich mir die Frage verkneifen kann, platzt es aus mir raus: „Habt ihr denn...?“
Sie zuckt mit dem Feuerzeug, legt den beiseite und sieht mich amüsiert an.
„Nein, wieso? Ich bin noch nicht von der Pille runter. Und er wird schon nichts haben, ich meine, er hat ja ’ne Freundin“.
Ich sehe sie entgeistert an.
„Und wie lange weiß Du es schon?“
„Hat er mir hinterher gesagt“. Sie blinkt kurz, ihre Stimme klingt trotzig.
„Ist ja alles nur Tango." Sie wirft den Feuerzeug auf den Tisch. "Er hat mich bestimmt nicht gesehen. OK, ich ruf ihn morgen an.“

4 comments:

msHedgehog said...

You know, I don't get it either. I thought one of the advantages of tango was not to have to bother with that sort of thing!

It can be a bit of an emotional minefield, though - sometimes you step on one, and sometimes you're the mine, which is not necessarily an improvement.

Anonymous said...

Ganz reizend...bitte weiterschreiben, ich les' hier so gerne! Was fuer eine seltsame Welt wir nachts bevoelkern...(eine andere Tangodame aus SF/USA)

La Tanguerita said...

Ms Hedgehog,
You know what bothers me most? One would expect from someone who’s been sticking around for a while a tiny little bit more sense. After all we’re not talking here major tango crush, which mostly happens at the very beginning of one’s “tango career” and is sometimes a tragic and strange thing to endure. This I can even understand. But later on one should learn to separate. For the sake of tango, if nothing else.
It seems so pointless and abuses the very nature of tango.

La Tanguerita said...

Anonym,
vielen Dank:-))Sie haben recht, unsere Welt ist nicht so ganz ohne:-)Also werde ich sicherlich auch in der Zukunft so einiges zu berichten haben.