Diesen Mittwoch machte ich früher Feierabend: ein Projekt, an dem ich seit Monaten rumgebastelt habe, ist endlich fertig geworden. Schon in der Mittagspause, als ich in der Kantine auf mein Essen wartete, trippelte ich diskret hin und her zu „Bailemos tango“, das aus meinem mp3player kam: ich wollte unbedingt tanzen.
Mittwochs gibt es eine Milonga bei mir in der Nähe. Dort wird es zuerst unterrichtet, dann gibt’s Praktika, später wird getanzt. Der Raum ist nicht groß, aber fein, mit dunklem Holzboden und hohen rauen Wänden. Die Musik vorwiegend klassisch, mit kleinen Nuevo-Tupfern. Ich mag den Besitzer: zwar ist er manchmal recht brummig und ich habe den starken Verdacht, dass er sich zuweilen in den Schlaf trinkt. Aber die leidenschaftliche Zärtlichkeit, mit der er über Tango spricht, macht ihn mir sympathisch.
Als ich die Treppe runter ging, erklang mir schon „Negracha“ entgegen, ich beschleunigte meine Schritte, zog den Beutel mit den Schuhen aus der Tasche, riss die Tür auf.... Mein Herz sank. Der Platz war fast leer, einige Leute saßen an hohen runden Tischen, auf der Tanzfläche übte das Gastlehrerpaar, das ich vorher nie gesehen habe, eine anscheinend komplizierte Figur: dem Mädchen (die werden immer jünger, diese Argentinier, die nach Europa kommen) wollte ein Sprung nicht gelingen. Es biss sich auf die Lippe, pustete sich die feuchte Locke aus der gekräuselten Stirn. Sein Partner sagte etwas auf Spanisch und schnitt eine kleine Grimasse. Das Mädchen lachte laut auf, schlug seinen Arm um den Hals des Mannes und sie tanzten ein Paar Takte in enger Umarmung. Ich streifte meinen Mantel ab, setzte meine Tasche ab und mich an den Tisch.
An dem ich die nächsten anderthalb Stunden alleine verbrachte. Die Tanzfläche füllte sich allmählich, aber es schien ein „Pärchenabend“ zu werden: Menschen kamen und blieben zusammen. Ich blieb sitzen, lauschte der Musik, holte mir einen Glass Wein, wechselte einige Wörter mit der Frau, die hinter der Theke stand. Einige Tangueros lächelten mich an, wir grüßten uns, dann gingen sie wieder, ohne mich aufgefordert zu haben.
Irgendwann mal kam eine Gruppe herein: ich erblickte einige mir bekannte Gesichter aus der hiesigen Szene und meine Stimmung besserte sich ein wenig. Ein Tänzer, mit dem ich bereits mehrmals getanzt habe, war auch da. Ich halte ihn für einen der Besten hier: seine Umarmung ist göttlich, und alles was er auf der Tanzfläche macht, ist von einer sicheren, mühelosen Musikalität durchdrungen. An dem Abend war seine Freundin dabei. Sie sind schon lange zusammen, und wir alle kennen uns bereits seit einer Weile– so wie man sich eben zu kennen glaubt: man grüßt sich, lästert scherzhaft über das Wetter - und über die anderen, tauscht sich über Schuhe und Festivals aus. Keine Freundschaft, aber ein friedliches Beieinander. Wenn er alleine unterwegs ist, flirtet er ein wenig mit mir, erzählt über seinen Job oder die letzte Reise nach BA. Manchmal - nachdem die Musik verklungen ist, hält er mich etwas länger und eine Spur fester, dann spüre ich, wie sein Herz schlägt. Aber er lässt mich immer los, und sein Gesichtsausdruck verrät nichts.
Ich beobachtete sie ein wenig – sie lachten, warfen ihre Mäntel zu einem Haufen zusammen, redeten aufgeregt, Frauen zupften die Falten ihrer Röcke zurecht. Einige Male sah der Mann in meine Richtung, aber ich konnte seinen Blick nicht deuten.
Ich bin nicht besonders schüchtern. Ich weiß, was ich kann. Dennoch finde ich es immer noch schwierig, einen Mann zum Tanzen aufzufordern. „El cabeceo“ ist hier zulande noch lange nicht selbstverständlich und wenn man als Frau die Tanzfläche überqueren und auf eine Gruppe zugehen muss ... kommt man nicht umhin, sich wie auf einem Präsentierteller zu fühlen. Aber es wurde langsam spät und ich habe immer noch kein einziges Mal getanzt: also bin ich aufgestanden und rübergegangen.
Der Mann blickte mich an und sagte ruhig: „Nein“. Nicht „Heute nicht“ oder „Vielleicht später“. Kein Wort mehr, geschweige denn Erklärung, nicht mal ein kleines Lächeln. Seine Freundin hat mich nicht einmal angesehen, sondern plauderte weiter mit ihrer Nachbarin, die mich amüsiert anguckte. Ich drehte mich um und ging zurück zu meinem Tisch. Mein Gesicht brannte wie nach einem Tag in der Sonne. Ich dachte hektisch nach - habe ich mir was zu Schulden kommen lassen? War ich?.. Hatte ich?.. konnte ich?.. Aber nein, nicht doch. Lag es daran, dass seine Freundin dabei war? Keine Ahnung. Ich wollte nichts wie weg, konnte aber nicht sofort gehen, schließlich wollte ich mein Gesicht wahren. Also blieb ich an meinem Tisch hocken, das halbleere Glas Wasser in der Hand.
- „quieres bailar?“ Der junge Argentinier von vorhin stand vor mir und lächelte. Ich sah ihn überrascht an: wir kannten uns nicht, er hat mich noch nie tanzen gesehen... Mein erster Gedanke war, ihm zu danken und abzulehnen, aber mein Körper hat schon die Entscheidung für mich übernommen. Ich ließ den Schal von meinen Schultern und mich in seine Arme gleiten. Am Anfang war es nicht besonders gut. Ich konnte mich nicht konzentrieren, war nervös und konnte den Boden kaum spüren. Aber nach und nach ließ die Aufregung nach und ich merkte endlich, wie gut er war, wir vorsichtig er mich durch den Tanz und aus meiner Enttäuschung hinaus führte. Wir hatten noch ein Paar schöne, ausgelassene Milongas, bevor er mich zurück zu meinem Platz brachte. Dann bedankte er sich bei mir, sagte heiter „espero verte pronto“ und ich konnte ihm kaum in die Augen sehen aus lauter Angst, ich würde in Tränen ausbrechen.
Ich ging gleich danach. Auf dem Weg hinaus blickte ich mich noch mal um: das argentinische Paar war wieder auf der Tanzfläche, das Mädchen hob die Hand zur Verabschiedung. Ich lächelte zurück, bevor ich die Tür hinter mir zuzog.
Tango ist ein einsamer Tanz. Man pflegt Kontakte, schließt unverbindliche Freundschaften, gibt seinen Partner einen flüchtigen Wangenkuss am Ende einer Tanda, alles soooo gesellig und zivilisiert. Aber der Schein trügt, trügt, trügt. Ich weiß nicht, ob es an unserer verkümmerten Fähigkeit, das Zwischenmenschliche zu schätzen liegt. Vielleicht ist aber das Gegenteil der Fall: wir interpretieren alles tot, zerlegen jeden Gedanken und jede Bewegung bis ins kleinste Detail, bis wir halbparalysiert in der Ecke liegen, unsere Seelen steif vor intellektueller Anstrengung. Was weiß ich schon darüber? Nur das eine: menschlich zu sein ist nicht kompliziert. Aber um es zu begreifen, brauchen viele ihr ganzes Leben.
2 comments:
einfach schön geschrieben. danke! vielleicht sieht man sich im el corte oder anderswo.
Vielen Dank:-)
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